„Altersvorsorgedepot“: Was der Lindner von dem Riester lernt

Es gibt demnächst ein neues Rentenprodukt für Dich, einen wahren „Gamechanger“, verspricht uns Finanzminister Christian Lindner. Für jeden Euro, den Du ab 2026 in ein Altersvorsorgedepot steckst, bekommst Du einen Zuschlag von 20% aus der Staatskasse. Bis maximal 3.000 Euro pro Jahr werden gefördert. Damit würde Dein Depot dann also jedes Jahr um 3.600 Euro plus Renditeertrag erhöht.

Und wenn Du Jahr für Jahr entsprechend sparst, verspricht Herr Lindner Dir, kannst Du nach 40 Jahren sogar Millionär sein. Das hätten „Experten“ für ihn ausgerechnet.

Moment mal: Nach Adam Riese und der einfachen Dreisatzrechnung kommst Du auf eine Ansparsumme von gerade einmal (3.600 Euro mal 40 Jahre, gleich) 144.000 Euro. Woher kommt das unglaubliche Mehr von rund 850.000 Euro? Siebenmal mehr als Du und der Staat in das Vorsorgedepot eingezahlt habt.

Das Wunder erklärt Dir Dein Finanzminister nicht. Aber wir versuchen es einmal:

Wenn das Geld in Deinem Depot durchgängig in jedem Jahr märchenhafte 8 Prozent Rendite erzielt, dann kannst Du eine Million Euro erreichen. Sind es nur, immer noch optimistische aber deutlich realere, 3 Prozent, wären es deutlich bescheidenere 280.000 Euro nach 40 Jahren.

Lindner verspricht einfach und dreist ein Wolkenkuckucksheim.

Er hat da ein bekanntes Vorbild. Vor gut zwanzig Jahren versprach Walter Riester ein ähnliches Wunder. Sein Versprechen lautete damals so: Wer 37 Jahre lang einen Betrag von 1.200 Euro in ein Riester-Rentenkonto einzahle, könnte von dem Ertrag am Ende seinen Traum von einem Einfamilienhaus verwirklichen. Riester behauptete einfach, dass die insgesamt eingezahlten 44.400 Euro durch Zins und Zinseszins auf 250.000 Euro anwachsen könnten. Zu diesem traumhaften Ergebnis kommt man nur, wenn ebenfalls eine durchgängige Rendite von 8 Prozent unterstellt wird. Mit solch abenteuerlichen Versprechen sind gut 16 Millionen Menschen zum Abschluss von Versicherungsverträgen gelockt worden. 

Die im April dieses Jahres erstmalig von der Bundesregierung veröffentlichten Zahlen belegen, wie krachend das Riester-Lügengebäude eingestürzt ist.

Und Lindners Lehren aus dem Desaster? Er will neben den „Altersvorsorgedepots“ die Riester-Rente weiterführen. Eine noch stärkere Förderung und die Genehmigung von Finanzanlagen in Risikokapital (wie bei den Altersvorsorgedepots) sollen für eine Wiederbelebung sorgen. Der Preis dafür: Die bislang noch gültige Garantie auf Beitragserhalt wird auf 80% gesenkt.

Der Finanzminister übernimmt das Zepter in der Rentenpolitik

Das Sozialministerium führt bei der Rentenpolitik immer weniger Regie. Das Zepter übernimmt das Finanzministerium und unterwirft den Sozialstaat immer stärker den Interessen der Finanzkonzerne. Dafür scheint nichts zu teuer und Schäden für die Volkswirtschaft werden sehenden Auges in Kauf genommen. 

Mit Einführung der Aktienrente (sinnverdrehend „Generationenkapital“ genannt) werden jährlich 12 Milliarden Euro mit einer zusätzlichen Steigerung von 3%/a Schulden aufgenommen. 

Die Fortführung der Riester-Rente wird weiterhin 4 Milliarden Euro an Zulagen und Steuermindereinnahmen kosten.

Das Projekt „Altersvorsorgedepot“ wird, auch wenn nur die Hälfte der Berechtigten den Förderrahmen wahrnehmen, mindestens 12 Milliarden verschlingen. Zusätzlich kommen hier Steuerausfälle und die besondere Förderung für Kinder (25% der Spargelder bis 1.200 Euro, also max. 300 Euro) und Berufsanfänger unter 25 Jahren (drei Jahre lang einen Extrabonus von 200 Euro) hinzu. Gut möglich, dass die Aufwendungen des Staates sich auf 20 Milliarden Euro erhöhen werden.

Das in der Ressortabstimmung befindliche „Betriebsrentenstärkungsgesetz 2.0“ setzt ebenfalls auf Anlagen in Risikokapitalmärkten und soll mit noch stärkeren Steuernachlässen für die Firmen gefördert werden. Auch das wird zu Mehrbelastungen des Staates führen. 

Allein durch die aktuell in Vorbereitung befindlichen Rentengesetze werden ab nächstem Jahr grob geschätzt 30 Milliarden Euro aus Staatsgeldern zusätzlich an die Kassen der Finanzkonzerne geleitet. Deutsche Bank, BlackRock, ALLIANZ & Co. generieren dann satte Profite aus den Kredit- und Kapital-Verwaltungsgeschäften.

Im krassen Gegensatz dazu werden dem Haushalt der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bis 2027 gewaltige 9 Milliarden Euro aus Bundesmitteln gestrichen. Damit wird provoziert, dass eine Steigerung der Beitragssätze zur DRV früher als geplant erforderlich wird. 

In der Vorausberechnung im Herbst 2023 ging die DRV davon aus, dass der Beitragssatz von 18,6% bis 2027 stabil gehalten werden könne. Das ist jetzt durch die weitere Schwächung der DRV-Finanzen Makulatur geworden.

Volkswirtschaftliche Geisterfahrer regieren das Land

Die Rentenpolitik der Ampelregierung führt geradewegs in das volkswirtschaftliche Desaster. Die immer deutlicher werdende Dummheit der Schuldenbremse wird durch die Politik des mit riesigen Anreizprogrammen geförderten Sparens auf die Spitze getrieben.

Angenommen, das staatliche Sponsoring des Altersvorsorgedepots wird nur zur Hälfte von den Förderungsberechtigten angenommen, ergeben sich grob geschätzt folgende Zahlen: 3000 Euro von 20 Millionen Menschen in Kapitaldepots eingezahlt, ergibt eine Jahressumme von 60 Milliarden Euro. In 10 Jahren befinden sich 600 Milliarden im Depot, in 30 Jahren 1,8 Billionen Euro. Erst ab dann ist wohl mit einem signifikanten Kapitalabfluss für Rentenzahlungen zu rechnen. Diese gewaltigen Summen werden dem Konsum entzogen und wirken als Konjunkturblocker. Die gebremste Nachfrage führt zu weniger Umsatz, damit zu weniger Profit und damit zu weniger Investitionen. Die wirtschaftliche Entwicklung wird schlicht abgewürgt.

Auf der anderen Seite werden die Finanzmärkte enorm aufgebläht. Pro Jahr kämen zu den 60 Milliarden Euro noch 12 Milliarden Euro der staatlichen Förderung, weitere 12 Milliarden aus dem „Generationenkapital“, sowie weitere Milliarden aus Riester- und Betriebsrentenanlagen hinzu.

Das so grundlegende Störungen des wirtschaftlichen Kreislaufs von Politikern systematisch betrieben werden, kann wohl nur mit ideologischer Verblendung erklärt werden. Oder einfach dem unbedingten Bedienen der Profitinteressen der Finanzbranche, die sich immer mehr von den realen Wirtschaftsprozessen gelöst hat.

Die Rente Enkelfit gemacht? Verlogener geht es nicht!

Die FDP verkauft ihre Privatisierungsstrategie als: „Wir machen die Rente Enkelfit!“

Wenn so ein Enkel ein durchschnittliches Einkommen erhält, zahlt sie bzw. er aktuell einen Rentenbeitrag von 9,3%, das sind rund 325 Euro. Nach Lindners Willen sollen darauf noch einmal 250 Euro dazu kommen. Die zusammen 575 Euro machen dann 16,5 % des Monatslohns aus, also 7,2% mehr. Das ist doch wohl nicht Enkelfit, sondern Lindner-Shit.

Und hier geht Christian Lindner über seinen Lehrmeister Walter Riester weit hinaus. Der wollte nämlich „nur“ 4% zusätzlich aus den Lohngeldern für seine Riester-Rente nehmen.

Das Letzte: Die AfD, CSU und CDU verfolgen getrennt aber fast gleichlautend: Der Staat solle der Jugend ein Renten-„Starter-Kit“ spendieren. Jedem Kind bis zum 18. Lebensjahr soll demnach monatlich 100 Euro auf ein Depot-Konto überwiesen werden. Eine Wahnsinnstat…

(Reiner Heyse, 22.09.2024)

8 Kommentare

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  2. Ich kann mich über den Ton und das Sprachvokabular einiger Kommentare nur wundern. Ich plädiere dafür, dass alle einmal “abrüsten” sollten und sich wieder für einen sachlichen Diskurs einsetzen. Ich kann nachvollziehen, dass viele Kommentare rein interessensgeleitet sind und nur die eigenen Argumente in den Vordergrund stellen. Wenn jeder auf seinen rein ideologischen Vorstellungen beharrt werden wir in der Sache nicht weiterkommen und nur zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen.
    Ja, wir haben ein Problem, ein demographisches, das keiner wegleugnen kann. Dieses Problem tangiert alle Altersvorsorgesysteme in unserer Gesellschaft und stellt insbesondere für Systeme die sich durch ein Umlagesystem finanzieren ein nicht lösbares Problem für die Zukunft dar. Aufgrund dieser Gemengelage sind nun dringendst “echte” Reformmaßnahmen erforderlich, die die GRV für die nächsten Jahrzehnte wetterfest machen. Die bisher von der Politik vorgesehenen Maßnahmen sind hierfür nur bedingt geeignet. Ich gebe gern zu, ich habe auch kein Patentrezept, das alle Probleme auf wundersame Weise lösen könnte. Eines steht für mich aber fest. Die Sozialpolitik unseres Staates hat nicht die Aufgabe, alle persönlichen Wunschvorstellungen jedes Einzelnen zu erfüllen. Dazu ist sie auch finanzpolitisch nicht in der Lage. Wie in allen anderen Lebenslagen sollte jeder Bürger zunächst eigenverantwortlich sich Gedanken machen, wie er seine Altersvorsorge sinnvoll unterstützen bzw. mitgestalten kann. Die Vollkaskomentalität die viele Mitbürger an den Tag legen und vom Staat erwarten, dass er alle Probleme für sie zur Zufriedenheit löst, muss endlich ein Ende haben.
    Zum Stichwort “Altersvorsorgedepot” möchte ich einen persönlichen Beitrag leisten. Kaum ist dieses Thema auf der Agenda, gibt es sofort eine Menge von sog. “Experten”, die im Vorhinein schon wieder alles besser wissen. Wenn Herr Heyse zu der Erkenntnis kommt, dass 3 % eine realistischere Rendite sei, frage ich mich wie er zu diesem Ergebnis kommt und würde ihn gerne auffordern, diese Annahme durch Fakten zu belegen. Ich habe jedenfalls für eines meiner Enkelkinder seit 2018 einen monatlichen ETF-Sparplan mit Bezug auf den MSCI-World-Index abgeschlossen und kann per heute feststellen, dass sich die Rendite für den Sparplan auf aktuell 14 % p.a. beläuft. Um so einen Sparplan abzuschließen muss man kein Finanzprofi sein. Die Stiftung Warentest-Finanztest veröffentlich regelmäßig entsprechende Vorschläge. Und die Stiftung Warentest ist nicht dafür bekannt, dass sie die Interessen der Finanzlobby unterstützt. Natürlich ist das bisherige Renditeergebnis kein Garantieschein für die Zukunft und es werden mit Sicherheit auch wieder andere Zeiten kommen. Entscheidend ist aber ein langfristiger Anlagehorizont.
    Nach meinem Dafürhalten könnte ein “Altersvorsorgedepot” durchaus geeignet sein, um zur Stabilität der GRV einen Beitrag zu leisten. Wie immer im Leben ist aber, dass gute Ideen auch sinnvoll, unbürokratisch und mit einem geringen Kostenaufwand umgesetzt werden. Da kommen mir dann allerdings wieder gewisse Zweifel auf, ob die Politik hierzu in der Lage ist, wenn ich mir das Desaster der Riester-Rente vor Augen führe.

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  4. Da Gejammer ist schrecklich, denn wir die Bürger und Bürgerinnen haben es ja in der Hand.
    Keine dieser VSD=Vereinigten System Parteien mehr wählen, und schon hört der Spuk auf.

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  6. Bei Riester wissen wir, wer ihn geschmiert hat. Zitat Wikipedia:

    “Neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter tritt er als Referent bei verschiedensten Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche in Erscheinung und ist Aufsichtsratsmitglied von ArcelorMittal Bremen. Zum 1. Oktober 2009 wurde Walter Riester Aufsichtsrat des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding. Die geschäftlichen Verbindungen Riesters (und Bert Rürups) zum Finanzdienstleister AWD kritisierte Transparency International als „Beispiel für politische Korruption“.”

    Beim parallel die Arbeitsmärkte zum Niedriglohnsektor mit Hire&Fire zerstörenden “Superminister” Wolfgang Clement auch:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Clement#Laufbahn_in_der_Wirtschaft

    Er wurde unter vielem anderen Aufsichtsrat beim Sklavenhändler Adecco.

    1. Die Rentenapokalyse oder die Lust am Untergang eines Sozialstaates? Kann man anderes erwarten, wenn Kakerlaken – Wirtschaftsweise und Politiker – über das Tagesmenü der Rentnerhaushalte
      Wie immer die nächste Wahl ausgeht – mt den etablierten Parteien ist kein Sozialstaat mehr zu machen. Niemand soll später behaupten, er habe von alledem nichts gewusst – sowas gab’s schon mal, nur diesmal viel subtiler.
      Alte schwäbische Weisheit: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

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