Kollege Jörg Hofmann, “Zielrenten”? – Du solltest schnell antworten.

Zweiter Brief an den IG Metall Vorsitzenden Jörg Hofmann zur betrieblichen Altersversorgung:

hofmann_karchKollege Jörg Hofmann, „Zielrenten“? – Du solltest schnell antworten.

Ich hatte Dir vor drei Wochen einen offenen Brief zu Deiner Position zur betrieblichen Altersversorgung geschickt (ist noch einmal im Anhang).

Offene Briefe muss man nicht beantworten, das mag wohl stimmen.

Aber offene Briefe können die Erwartung nach einer Antwort enorm befördern. Und das hat mein Brief getan. Das kann ich Dir sehr nachdrücklich versichern. Ich habe viel Empörung, Erstaunen, Zustimmung und Schulterklopfen erfahren. Niemals Kritik oder Korrekturen.

Immer, Jörg, wirklich immer wurde die Erwartung geäußert, dass der Vorstand darauf ja wohl antworten müsse.

Aber Du, oder ihr im Vorstand, antwortet nicht. Mittlerweile liegt der Referentenentwurf zu einem „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ vor. Alle Welt äußert sich dazu, vor allem aus dem Unternehmer- und Versicherungslager – meist überaus zustimmend.

Du, oder ihr, schweigt. Man muss das schon als dröhnendes Schweigen wahrnehmen. Dieses Schweigen ist ja nicht neu. Seit zwei Jahren wurden im Sozialministerium Verhandlungen hinter verschlossenen Türen durchgeführt. Von gewerkschaftlicher Seite, die beteiligt war, ist nicht ein Sterbenswörtchen durchgesickert.

Ich habe Dir, Jörg, vorgehalten die Positionen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft zu großen Teilen kopiert zu haben. Deine Position hast Du gegenüber dem Handelsblatt erklärt. Gegenüber den Mitgliedern nicht. Bis heute nicht.

Kurz nach meinem offenen Brief erhielt ich den Anruf eines Insiders, der mir erklärte, ich würde ihm aus dem Herzen sprechen. Ich hätte völlig Recht. Er fasse es nicht, dass in dem Referentenentwurf nicht eine Sicherungslinie für die Höhe der zu erwarteten Rente eingezogen sei und die Gewerkschaftsvertreter dem zustimmen würden (der Entwurf war da noch nicht veröffentlicht).

Und in der Tat, das Wort „Garantierente“ (auf Basis des gesetzlichen Garantiezinses) findet man nicht mehr, stattdessen gibt es die „Zielrente“, die nichts garantiert, aber die Versicherungen einlädt, in Risikokapital zu investieren.

Jetzt wird mir auch klar, warum die MetallRente, die auf den Internetseiten der IG Metall intensiv beworben wird, seit einigen Monaten keine Garantierente mehr ausweist. Stattdessen wird eine völlig ungarantierte monatliche Rente suggeriert, die mehr als doppelt so hoch ist wie die noch 2015 ausgewiesene Garantierente. Der Garantiezins beträgt zur Zeit 1,25%, ab 1.1.2017 wird er auf 0,9% gesenkt. Die MetallRente rechnet aber mit 3,95%. Unglaublich, oder…?

Heribert Karch, der ja von seinem Posten als Leiter der Vorstandsabteilung Tarifpolitik 2001 direkt von der IG Metall zum Geschäftsführer der MetallRente wechselte, jubelt geradezu: „Zielrenten sind unsere Chance auf mehr Unabhängigkeit vom Zinsumfeld“ (Handelsblatt-online 10.11.16).

Er jubelt anscheinend für die ganze Branche, der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V., deren Vorsitzender er zusätzlich geworden ist. Endlich kann das internationale Finanzmarktkasino betreten werden und die Produkte der bAV mit unverantwortlichen Versprechungen beworben werden.

Und die IG Metall, Jörg, sie schweigt nicht nur dazu. Du forderst, dass sie sich daran beteiligen soll unter dem Stichwort „Mitbestimmung beim Leistungsangebot und der Anlagepolitik“?

Unglaublich!

Andrea Nahles denkt nicht daran, die erste Säule der Altersvorsorge, die gesetzliche Rentenversicherung, zu stärken. Sie will die Riester-Rente durch höhere Zuschüsse attraktiver machen und sie will alles daran setzen, die betriebliche Altersversorgung mit nahezu allen Mitteln für alle verbindlich zu machen.

Die Entgeltumwandlung lenkt gigantische Lohnsummen in die Finanzwirtschaft bei gleichzeitiger Entlastung der Unternehmen. Nahles denkt nicht daran, die gRV zu stärken. Sie betreibt genau das Gegenteil.

Das weißt Du, dass wisst ihr im Vorstand. Und Du, bzw. ihr, schweigt dazu. Wie soll man das bezeichnen? Als Duldung, als Beihilfe?

Im norddeutschen Raum haben wir eine Koordinierungsgruppe gewerkschaftlicher Seniorenarbeitskreise (IG Metall, ver.di, EVG, IG Bau, DGB) und einigen SPD 60+ – Mitgliedern; Stichwort „Seniorenaufstand“). Wir hatten am 10.11. unter dem Eindruck der Trump-Wahl diskutiert, dass die Reaktion der Abgehängten, Ausgegrenzten und Diskriminierten auch in Deutschland bei den nächsten Wahlen zu unerträglichen Überraschungen führen kann.

Die AfD soll bei den letzten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 33% der Arbeiterstimmen bekommen haben. In Baden-Württemberg sollen es 30%, in Berlin 28% und in Rheinland-Pfalz 23% gewesen sein. Die AfD ist dabei, eine Organisation „Arbeitnehmer in der AfD – AidA“ aufzubauen. Reaktion von uns Gewerkschaften bis jetzt: Hilflosigkeit.

In der Diskussion am 10.11. war viel Entsetzen und Wut im Raum. Wir haben als Gewerkschaften eine große Verantwortung, zu verhindern, dass es den rechten „Rattenfängern“ gelingt, die Menschen in die Irre zu leiten. Wir waren uns einig, dass eure positiv begleitende Position zur Rentenpolitik der Bundesregierung den Rechten einen Bärendienst erweist. Wenn der ganze Betrug aufplatzt, schadet das nicht nur den Gewerkschaften, es unterhöhlt den sozialen Rechtsstaat zusätzlich.

Auf dem Sozialstaatskongress 4.0 hatte ein Wissenschaftler vorsichtig kritisiert, dass die Zielrichtung der IG Metall zu stark auf die engen Interessen der IG Metall-Klientel ausgerichtet sei. Das erst einmal die Wiederherstellung des Sozialstaats 1.0 entscheidend sei. Der Mann hat völlig Recht. Der ernsthafte und glaubwürdige Kampf gegen die Hartz IV- und die Agenda 2010-Gesetze und der Kampf um eine armutsverhindernde und lebensstandardsichernde Rentenversicherung kann die Gesellschaft wieder zusammenführen und den Rechten das Wasser abgraben.

In diesem Sinne fordere ich Dich erneut auf, den Vorstandbeschluss vom Juli ernst zu nehmen („Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung“), ihn nicht zu unterlaufen und alles zu tun, dass die Rentenkampagne zum Erfolg geführt wird.

Mit kollegialem Gruß

Reiner Heyse

(20.11.2016)

P.S. für die Mitlesenden: Konsortialführer bei der MetallRente ist der ALLIANZ-Konzern. Er hält sich vornehm zurück, streicht aber den Hauptgewinn ein – ein schönes Versorgungswerk für die Besitzer der Versicherung.

(Reiner Heyse, 21.11.2016)