Legaler Betrug – wie deutsche Lebensversicherer ihre Kunden hintergehen

Das sind Gegensätze: Der Bundesgerichtshof (BGH Az. IV ZR 201/17) erteilt letzte Woche der Lebensversicherungsbranche eine Art Freibrief: Sie dürfen ihren Kunden weniger auszahlen als sie vorher versprochen hatten. Ebenfalls Ende Juni verlautbart des Bundeswirtschaftsministerium (BMWI), es sehe bei 34 von 84 Lebensversicherern “mittel- bis langfristig finanzielle Schwierigkeiten”. Grund für die Beurteilungen der beiden Institutionen ist die immer noch andauernde Niedrigzinsphase. Das scheint oberflächlich betrachtet plausibel, ist es aber nicht.

Nahezu zeitgleich mit dem BGH und dem BMWI, veröffentlicht das Online-Magazin RUBIKON eine Studie, die das Urteil und die Einschätzungen der Bundesregierung ad absurdum führt. Wir veröfentlichen hier die Kurzfassung der Studie und bedanken uns ganz herzlich bei Holger Balodis, dem Autor der Studie und der Redaktion von RUBIKON. Wir empfehlen die Lektüre der gesamten Studie.

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RUBIKON-Studie Kurzfassung:

Die deutschen Lebensversicherer behandeln ihre Kunden seit Jahren schlecht und machen hierfür die Niedrigzinspolitik verantwortlich. Die Rubikon-Studie deckt auf: Das ist eine klassische Fake-News.

In Wirklichkeit sind Allianz & Co höchst profitable Konzerne. Mit einer Umsatzrendite von 20,56 Prozent (im Jahr 2016) zeigen sie sich ungefähr doppelt so erfolgreich wie die Automobilindustrie. Der Rohüberschuss stieg auf ein Rekordniveau von 22,7 Milliarden Euro (2016).

Alle Grafiken auf dieser Seite sind der RUBIKON-Studie entnommen

Gleichzeitig gelingt es ihnen, diesen Erfolg vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, vor allem indem Gewinne kleingerechnet werden und gewaltige Beträge in Reservepositionen versteckt werden. So betrug der offiziell ausgewiesene Gewinn der Branche „nur“ rund 1,5 Milliarden Euro. Dafür stieg die Summe in jenen Finanztöpfen, in die Gelder ausgegliedert werden, ohne dass die Kunden hieraus einen direkten Anspruch haben, auf nahezu unglaubliche 233 Milliarden Euro.

Die Folge sind dramatisch sinkende Überschussbeteiligungen für die Kunden. Über die niedrige Garantieverzinsung hinaus bekommen immer mehr Kunden keinen Cent mehr zugeteilt. Die Versprechungen der Vergangenheit sind nichts mehr wert. Dieser Aderlass liegt nicht an der Niedrigzinsphase. Die Rubikon-Studie zeigt: Die Gewinnquellen der Lebensversicherer sprudeln weiter ungebremst. Der dickste Posten: Zins- und Kapitalerträge von über 47 Milliarden Euro (2016).

Denn die Konzerne haben sich von dem niedrigen Zinsniveau weitgehend abgekoppelt und erzielen seit Jahren eine Netto-Verzinsung ihrer Kapitalanlagen von deutlich über 4 Prozent. Dazu kommen milliardenschwere Kosten- und Risikogewinne. Diese Gewinnquellen haben den Vorteil, dass die Konzerne die Höhe der Erträge weitgehend selbst steuern können. So setzen die Lebensversicherer laut Rubikon-Studie ihre Verwaltungskosten systematisch um mehr als das Doppelte zu hoch an. So entstehen automatisch Kostengewinne – völlig risikolos.

Die Kunden haben davon wenig: Die garantierte Verzinsung sank für Neuverträge im laufenden Jahr auf den Tiefstwert von 0,16 Prozent. Immer mehr Kunden – vor allem jene, die vor einigen Jahren abgeschlossen haben – bekommen keinerlei Überschussbeteiligung mehr zugeteilt. Laut Rubikon-Studie liegt das nicht zuletzt daran, dass die Konzerne erfolgreich Strategien entwickelt haben, wie sie die von den Kunden eingezahlten Gelder so in Finanztöpfe stecken, dass die Kunden nicht oder kaum noch an diese Gelder herankommen.

Es sind dies der Schlussüberschussfonds, die sogenannte „freie RfB“ (Rückstellung für Beitragsrückerstattung), die Zinszusatzreserve und die stillen Reserven. Alles in allem waren 2016 233 Milliarden Euro in diesen Töpfen – Tendenz steigend.

Theoretisch sind diese Gelder für heutige oder spätere Kundengenerationen vorgesehen, doch kein Lebensversicherter hat einen direkten Anspruch auf eine Beteiligung. Es kann also passieren, dass viele Kunden davon keinen Cent zu sehen bekommen. Die Rubikon-Studie belegt, dass sich seit dem Jahr 1983 wenig geändert hat, als das Landgericht Hamburg (Aktenzeichen 74047/83) den Lebensversicherungen legalen Betrug ins Stammbuch schrieb.

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Weitere Informationen erteilt gerne der Verfasser der Studie:
Informationsdienst für Rente und Alterssicherung
Holger Balodis
0221-461527 oder 466590
balodis@vorsorgeluege.de
www.vorsorgeluege.de

Holger Balodis ist Volkswirt und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Themen Alterssicherung und Lebensversicherungen. Zusammen mit seiner Frau Dagmar Hühne erstellte er für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Untersuchung „Privatrenten als (un) geeignetes Instrument der Altersvorsorge“ (2014). Bereits 2012 erschien der Spiegel-Bestseller „Die Vorsorgelüge“. 2015 eine kritische Bewertung privater Altersvorsorge in „Garantiert beschissen – der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen“. Sein jüngstes Werk: „Die große Rentenlüge – Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist“ (2017).

(Holger Balodis, 01.07.2018)