Nach dem Riester-Flop der Betriebsrenten-Turbo?

Nach dem Riester-Flop der Betriebsrenten-Turbo?

gdv_ruerup_prognos_03Die Blaupause für das nächste Rentendesaster liegt seit zwei Jahren vor: Statt Riester- jetzt Betriebsrenten. Mehr staatliche Förderungen. Mehr Freiheit für Risikoanlagen. Mehr Verpflichtung zu privater Vorsorge. Mehr Versicherungskapital in öffentliche Investitionen. Auf keinen Fall aber Stärkung der umlagefinanzierten Rente.

Im April 2014 lieferten Bert Rürup und das PROGNOS-Institut eine Auftragsarbeit für den Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ab. Die Studie mit dem Titel „Die Zukunft der Altersvorsorge“ wurde unverdientermaßen von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Denn die Studie liefert den Masterplan für die Renten“reform“ nach der Renten“reform“ bei sorgfältiger Beachtung der Interessen der großen Versicherungen und einer erneuten Verletzung der sozialen Interessen von vielen Millionen Menschen in diesem Land.

Anlass der Arbeit sind die „Krise und Legitimationsprobleme der privaten Altersversorgung“ (S.13) und es werden „Lösungswege“ daraus versprochen.

Die Studie kommt mit einem gewaltigen wissenschaftlichen Anspruch daher. Mit einem „globalen Prognose- und Simulationsmodell, das detailliert und konsistent die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft darstellt“ (S.27), wird nahezu jede Art von Vorhersage bis zum Jahr 2050 ermöglicht.  Wer will da widersprechen, wenn behauptet wird, „die Arbeitslosenquote geht bis 2050 auf 3,2% zurück“ (S.25)?

Wer will widersprechen, wenn ausgerechnet wird, dass die „Rente mit 63“ und die „Mütterrente“ zu einem Beitragssatzanstieg zur Rentenversicherung auf 20,5% im Jahre 2020 führen wird (S. 42)? Die Frage ist heute, 2 Jahre nach dieser wissenschaftlichen Expertise, leicht zu beantworten. Die Wirklichkeit widerspricht: Nach den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (Dez. 2015) wird der Beitragssatz im Jahre 2021 lediglich auf 19,3% angehoben werden müssen.

Ähnliches gilt für die Demografieprognosen. Nach der 12. Bevölkerungsvorausberechnung aus 2009 hätte die Bevölkerung um 0,8 Millionen zurückgehen müssen. Sie ist aber tatsächlich um 0,8 Millionen gestiegen. Ein Prognosefehler um 1,6 Millionen Menschen in nur 6 Jahren.

Nach nur 2 Jahren beweist die Studie unfreiwillig, welch eine Schindluder mit Prognosen betrieben werden kann und wie aberwitzig es ist, 30- oder 40jährige Vorausberechnungen anzustellen (mit einer Nachkommastelle genau) mit dem Anspruch die Politik müsse sie in handfeste Sozialabbaupolitik umsetzen.

Eine notwendige Erklärung hingegen wie es zur Finanzmarktkrise 2007/2008 kam und welche Schlussfolgerungen daraus für die kapitalgedeckte Altersvorsorge gezogen werden müssten, erscheint noch nicht einmal als Fragestellung. Obwohl es hier eine Unzahl von harten Zahlen und Vorgängen gibt, lässt man da keines der wundersamen Rechnerprogramme ran.

Die Studie beinhaltet also viel Zahlen-Tam-Tam und kommt dann zum Kern. Den Empfehlungen für die Politiker in diesem Land:

  • „Sofern die Lebensleistungsrente aus Steuermitteln finanziert wird, … ist der Plan dem Grundsatz nach zu begrüßen (S. 71)“ (Koalition meldet: bald vollzogen)
  • Ausweitung des Versichertenkreises … Selbständige: Wenn die Verbreiterung der Erwerbstätigenstruktur des Umlagesystems zulasten der etablierten kapitalgedeckten Systeme ginge, hätte das eine … Lastverschiebung zu ungunsten zukünftiger Generationen zur Folge (S. 73)“ (Koaltition: Nichtbehandlung)
  • Verlängerung der Lebensarbeitszeit – Eine gleitende Anhebung des Renteneintrittsalters von 67 auf 69 Jahre bis zum Jahr 2050 würde die relative Rentenbezugsdauer … weitgehend konstant halten (S. 74) (Koalition : der Ball wird aufgenommen; Schäuble u.a.)
  • Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge trotz Niedrigzinsphase…. Die aktuelle Niedrigzinsphase wird kein Dauerzustand werden… Es spricht daher nichts dagegen, den Anteil kapitalgedeckter Alterseinkommen ungeachtet der aktuellen, aber sich in absehbarer Zeit einem Ende zuneigenden Niedrigzinsphase eher zu erhöhen, als zurückzufahren (S.74/76) … Deshalb dürfte zur Erhöhung des Verbreitungsgrades der betrieblichen Altersversorgung ein umfassendes tarifpolitisches und gegebenenfalls auch gesetzgeberisches Handeln erforderlich sein …. Wichtige Hebel sind, dass … in allen Arbeitsverträgen eine automatische Entgeltumwandlung vorgesehen wird … die Komplexität der steuerrechtlichen Vorschriften (sind) zu reduzieren (S.79/80) … (Koalition: hat anscheindend alle Punkte in das reformierte Betriebsrentengesetz übernommen)
  • Fazitpunkte (S. 81): „Um aber von dem derzeitigen Anteil der kapitalgedeckten Rentenansprüche von weniger als 20 Prozent auf einen Anteil von etwa 30 Prozent zu kommen sind verbesserte Informationen und staatliche Anreize erforderlich (S.81).“ (Koalition: neue Betriebsrenten erhalten staatliche Förderbeträge)
  • „Ein Renditevorsprung des Kapitaldeckungsverfahrens würde ermöglicht durch das Ausnutzen von Anlagemöglichkeiten im Ausland, … oder Finanzierungsbeteiligungen an Infrastrukturprojekten (S. 7).“ (Koalition: die „Fratzscher-Kommission“ hat die private Finanzierung  öffentlicher Investitionen empfohlen (Renditeziele 7% und mehr)  – Schäuble und Gabriel übernehmen die Empfehlung in ihren Politikbereichen)

Wovon die Auftragnehmer des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungen dringend abraten, sind die Stärkung der umlagefinanzierten Rente und die Abwicklung der Riester-Rente – auch an diesen zentralen Punkten folgt die Regierung ohne Wenn und Aber.

So liest sich die Studie von Rürup und PROGNOS in der Nachbetrachtung wie der Masterplan für die Rentenpolitik der Großen Koalition.

Auf die Untersuchung, welche Wirkungen die Produktivitätsentwicklung* auf die Umverteilungspotentiale hat, sucht man erneut vergebens. Hatte die Rürup-Kommission 2002 zumindest noch eine jährliche Prodivitätssteigerung von 1,8% bis zum Jahr 2050 unterstellt (ohne mit dieser Größe die Auswirkung auf die Finanzierungsmöglichkeiten der gesetzlichen Rente zu berechnen), stellt Rürup 12 Jahre später einfach nur lapidar fest: „Da nicht zu erwarten ist, dass sich der seit geraumer Zeit stabile Trend des Produktivitätswachstums je Arbeitsstunde erhöhen wird, resultiert (daraus) … eine merkliche Verringerung des Trendwachstums der deutschen Wirtschaft. Auch dies ist bei der Umlagefinanzierung der sozialen Sicherung von Bedeutung (S. 12).“

Welche Auswirkung konkret zu erwarten ist, wird auch hier nicht weiter untersucht. Eines ist nur klar: Die Produktivität ist ein paar Jahre schwach gewachsen – und das bleibt ein Dauertrend. Die Zinsen sind seit Jahren auf einen historisch niedrigen Stand – aber das ist nur vorübergend.

Kaffeesatzleserei bestimmt die Regierungspolitik. Den einzigen Nutzen haben die Versicherungskonzerne deren Geschäfte ausgebaut werden und die Unternehmen, die von Lohnnebenkosten entlastet werden.

 

* Wie die Produktivität enorme Verteilungsspielräume schaffen kann, sei an folgender Rechnung verdeutlicht:

(Rechnung wurde am 5.7.16 korrigiert und an Durchschnittslohn angepasst)

produktivitaet_loehne_renteDas bedeutet, selbst wenn im Jahr 2030 die befürchteten 24% Beiträge geleistet werden müssten, bliebe immer noch 7.007€ reale Lohnsteigerung.

Sollten 2040 30% erforderlich sein, bliebe eine reale Lohnsteigerung von 11.666€.

Siehe dazu auch die vorherigen Beiträge:

Die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rente ist möglich.

Der Unsinn von der “Ausbeutung der Jugend” und der “Unfinanzierbarkeit”.

PROGNOS und Zeitungen: “Die Wahrheit über die Rente”

 

(Reiner Heyse, 12.05.2016)