Nobelpreis für Manipulationsstrategien? Beispiel: private Altersvorsorge

Der US-Verhaltensökonomen Richard Thaler hat dieses Jahr den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft verliehen bekommen. Zentrale Begründung dafür war, „Thaler habe die Wirtschaftswissenschaft menschlicher gemacht“. Er sei ein „Brückenbauer zwischen Wirtschaft und Psychologie, der vor allem eines untersucht: Warum verhalten sich Menschen bei wirtschaftlichen Fragen manchmal unlogisch, gar irrational und wie kann man sie dazu bringen, wirtschaftlich vernünftige Entscheidungen zu treffen. Durch nudging, lautet Thalers Antwort. Übersetzt: einen Anreiz, einen kleinen Schubs.“ (Tagesschau vom 9.10.17)

Das scheint zunächst sympathisch. Die mathematikbesessene Modellökonomik, mit dem völlig rational und mit rücksichtslosen Eigennutz handelnden „homo oeconomicus“ als zentraler Figur, scheitert ständig. Unter anderem, weil der „homo oeconomicus“ in der realen Welt nicht existiert.

Doch hinter dem „menschlichen“ Ansatz von Thaler lauert ganz etwas anderes. Das wird in dem gleichen Tagesschau-Bericht deutlich. Dort wird das von dem Preisträger gemeinte nudging erläutert:

„Beispiel Altersvorsorge. Mangelnde Selbstdisziplin, so Thaler, sei es, die viele dazu bringe ihr Geld jetzt auszugeben, anstatt fürs Alter zu sparen. Bekommen sie nun einen kleinen Schubs, z.B. durch staatliche Zuschüsse oder Steuererleichterungen, legen sie mehr für´s Alter zurück. Eine rationale Entscheidung, wenn Psychologie auf Wirtschaft trifft.“ (Tagesschau vom 9.10.17)

Das hier geforderte nudging gibt es in einem riesigen Modellprojekt in Deutschland seit 15 Jahren. Es nennt sich Riester-Rente und wird jährlich mit fast 4 Milliarden € an Zuschüssen und Steuerbegünstigungen staatlich „angeschubst“. Nach 15 Jahren ist dramatisch deutlich geworden: Das Riester-Projekt ist beispiellos gescheitert.

Von ca. 41 Millionen förderberechtigten Personen haben lediglich ca. 16 Millionen Riester-Verträge. Wirksame Verträge, in die auch eingezahlt wurde, gab es ca. 11 Millionen. Den vollen Fördersatz erhalten nur ca. 7 Millionen. Es sind also knapp 20% der gesetzlich gewollten Personen, die im empfohlenen Umfang „riestern“ (*).

Aus mindestens vier guten, rationalen Gründen, “verweigern” die restlichen 80% die private Vorsorge:

  • Millionen haben ein so geringes Einkommen, das für “riestern” kein Euro übrig ist.
  • Von dem Gesparten bleiben durch hohe Versicherungskosten, niedrige Zinsen und lange Auszahlungszeiträumen sehr niedrige Rentenzahlungen übrig.
  • Die Verträge müssen über Jahrzente wirksam gehalten, also bespart werden. Persönliche Risiken (z.B. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Einkommenseinbrüche) verhindern das allzu häufig.
  • Die Versicherungen können zahlungsunfähig werden, die Finanzmärkte können kollabieren. Dann können erhebliche Wertverluste oder sogar Totalverluste eintreten.

Überdeutlich ist: “Genudget” werden lediglich die Interessen der Versicherungswirtschaft. (siehe auch Artikel Riester-Rente)

Und diese Interessen werden weiter “geschubst”.  Ausgerechnet der linke Rudolf Hickel lobt Richard Thaler in der  Frankfurter Rundschau vom 9.10.:

„Er sucht nach psychologischen Instrumenten, dieses dem Entscheider selbst schadende Verhalten zu überwinden. Berühmt geworden ist sein Beispiel zur betrieblichen Altersvorsorge in den USA. Bietet das Unternehmen diese allen an, dann kümmern sich die Nutznießer oftmals nicht darum, verschlampen die Chance. Gegenüber diesem „Opting in“ schlägt er ein „Opting out“ vor. Das Unternehmen übernimmt die Regelung für alle und wer nicht will, muss nach eigener Entscheidung aussteigen.“

Das “Opting out” ist genau der Mechanismus, den der „Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft“ (GDV) seit Jahren fordert und der jetzt mit dem „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ (Betriebsrente wird zur Betrugsrente,  Frau Nahles präsentiert… ein “Gesamtkonzept”) in Deutschland obligatorisch gemacht wurde. Man kann diesem Gesetz, dass vollkommen auf Entgeltumwandlung basiert, nur wünschen, dass es ebenso scheitert wie die Riester-Rente.

Fazit: Thalers Stragie der gezielten Lenkung der Menschen zu rationalen, ihnen angeblich nutzenden Entscheidungen, erweist sich in absurder Weise als Versuch, die “menschelnden” Wirtschaftssubjekte in Richtung “homo oeconomicus” zu manipulieren.

Neu ist diese Strategie aber nicht, wie eine Veröffeentlichung aus dem Jahr 2014 deutlich macht.

In den Jahren 2009 bis 2013 ließ das Kanzleramt 600 Meinungsumfragen für ca. 8 Millionen € durchführen. Positive Pressestimmen meinten dazu, Merkel wolle Politik nach dem Willen des Volkes machen.

Die wahren Absichten wurden sehr deutlich durch einen Artikel in den Kieler Nachrichten vom 6.9.2014. Für eine Kanzleramts-Projektgruppe mit dem schönen Namen „Wirksam Regieren“ würden Psychologen mit den Schwerpunkten Anthropologie und Verhaltensökonomik gesucht. Nicht mehr direktes Regulieren gegen mögliche Widerstände, sondern auf Basis vorhandener  Meinungen oder Vorurteile mit psychologischen Tricks sanft Manipulieren ist die Strategie.

(Reiner Heyse, 15.10.2017)

(*) Die Daten zu Riester-Verträgen sind dem Arbeitspapier 12/2016, “15 Jahre  Riester – eine Bilanz”, Herausgegeben vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, entnommen.