PROGNOS und Zeitungen: “Die Wahrheit über die Rente”

gdv_ruerup_prognos_03Auftragsarbeit von PROGNOS abgeliefert:

„Rentenperspektiven 2040“ oder „Die Wahrheit über die Rente“

Tatsächlich handelt es sich bei der am 12.11.2015 vorgelegten Studie um ein erneutes Beispiel, wie mit moderner Kaffeesatzleserei die Interessen der privaten Versicherungsbranche propagiert werden (“Die Wahrheit über die Rente” ist die Schlagzeile der Märkischen Zeitung).

PROGNOS behauptet, zuverlässige Voraussagen abzugeben, wie hoch die Renten für bestimmte Berufsgruppen in jeder der 402 Kreise und Städte der Bundesrepublik im Jahr 2040 ausfallen werden. Auf den ersten Blick ein beeindruckendes Werk (über das sich vor allem die 250.000 Versicherungsvermittler im Lande sehr freuen werden – die Daten dürften sehr bald auf jedem Verkäufer-Notebook zu finden sein).

Auf den zweiten Blick ist das absurd (siehe unten). Aber nach gründlicher Durchsicht vieler Presseartikel* konnte nicht eine Zeitung entdeckt werden, die auch nur im Ansatz die Aussagen bzw. die Methoden kritisch hinterfragt hat.

Z.B. wird einfach abgeschrieben: Der Begriff Eckrentner (45 Beitragsjahre bei Durchschnittseinkommen) habe keine Aussagekraft mehr – weil er eine statistische Durchschnittgröße darstelle, die für die allermeisten Menschen nicht zutreffe. So ein Schmarren – das ist ja für jede Statistik so! (Die Studie behandelt „typisierte“ Berufsbilder – was ist das anderes als statistische Durchschnittsermittlung).

Oder: Es wird einfach nachgeschrieben, die PROGNOS-Studie liefere ein realeres Bild über die Verhältnisse, zum Beispiel über die gebrochenen Erwerbsbiografien. In der „gründlichen“ Studie kommt nicht ein typisierter Fall prekärer Beschäftigung vor (immerhin befinden sich derzeit über 7 Millionen Menschen in solchen Arbeitsverhältnissen).

Oder: Die Studie arbeitet sehr detailliert mit den Lebenshaltungskosten je Kreis/Stadt und entwickelt daraus „die regionale Rentenkaufkraft“ – daraus kreieren dann Redakteure den „Renten-Euro“ (Warum nicht gleich auch „Jugend-Euro“, “München-Euro“ oder „Klanxbüll-Euro“?). Jede regional ausgerichtete Zeitung übernimmt einfach die Behauptungen wie hoch die gewichtete Rentenkaufkraft der Bruttorenten im Jahr 2040 auch im kleinsten Landkreis sein wird. Jede Hellseherin würde, danach gefragt, ihre Glaskugel in den Müll werfen und zum Kiosk laufen.

Schließlich enden alle Artikel in der nachgeplapperten Feststellung, die Rente werde viel zu niedrig sein, private Vorsorge sei dringender denn je.

Mit dieser Aussage kommen wir zum Kern der Studie. Sie wurde im Auftrag des „Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtshaft“ (GDV) erstellt und sie ist die zweite von der GDV bezahlte Studie innerhalb von 1 1/2 Jahren. Die private Altersvorsorge ist in einer tiefen Krise und die Geschäfte/Profite der Versicherungskonzerne sind stark gefährdet.

Im April 2014 wurde unter dem Titel Die Zukunft der Altersversorgung ein strategisches Papier von Bert Rürup (führend bei der nachhaltigen Zerstörung der gesetzlichen Rentenversicherung, diesmal als Mitarbeiter des „Handelsblatt Research Institut“ tätig) und der Firma PROGNOS vorgelegt.

Dieses Papier wurde zu Unrecht von den Verteidigern einer solidarischen Rentenversicherung wenig beachtet. Wir werden eine gründlichere Bewertung demnächst nachholen, weil es wahrscheinlich der Fahrplan der Versicherungs-Lobbyisten der nächsten Jahre sein wird.

Die Kernpunkte des Strategiepapiers:

  • Am Abbau des Rentenniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ist festzuhalten.
  • Jeder Versuch, angesparte Versicherungsgelder (z.B. aus Riester Verträgen) in die GRV zu überführen ist abzulehnen.
  • Stärkung der 2. (private Versicherung) und 3. Säule (Betriebsrente), indem sie gesetzlich obligatorisch gemacht werden.
  • Stärkere staatliche Förderung dieser Säulen (über Steuern und/oder Zulagen).
  • Anlage der Versicherungsgelder in Risiko-Anlagen erlauben (Ausland) und in staatliche Infrastrukturprojekte (Stichwort: ALLIANZ baut Autobahnen – Rendite mindestens 7%).
  • Das gesunkene Vertrauen der Bevölkerung in die private Vorsorge über „mehr Transparenz und Information“ wieder aufbauen.

Auf den letzten Punkt zielt die PROGNOS-Studie aus dem November 2015. Transparenz und Information soll durch die scheinbare Wissenschaftlichkeit erzeugt werden. Die absurde Kaffeesatzleserei lässt sich z.B. an folgenden Punkten festmachen:

  • Ein zentraler Punkt ist die demografische Entwicklung. Die 13. Bevölkerungsvorausberechnung wird als wahr unterstellt. Dabei wird willkürlich eine von elf Prognosemodellen als richtig herausgegriffen. Und schon dieses Prognosemodell hatte innerhalb der letzten 6 Jahre einen Fehler von 2,2 Millionen Menschen. Wieso sollte es in 25 Jahren verlässlicher sein?
  • Es wird eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von durchschnittlich 1,4%, mit entsprechend wachsenden Löhnen und irgendwie auch entsprechend angepassten Renten, unterstellt. Die Entwicklung der vergangenen 23 Jahre sah aber so aus: Steigerung des preisbereinigten BIP: 33%, Steigerung der preisbereinigten Löhne: ca. 3%, „Steigerung“ der preisbereinigten Renten: – (Minus) 11%. Wie kommen die PROGNOS-Statistiker eigentlich darauf, dass in den kommenden 25 Jahren alles ganz anders und harmonischer verlaufen wird?

    Reale durchschnittliche Renten, Löhne und BIP von 1991 - 2013 (mehr Infos: auf die Grafik klicken)
    Reale durchschnittliche Renten, Löhne und BIP von 1991 – 2013
  • Die Rentenkürzungsgesetze (Riester und Nachhaltigkeit/Rürup) haben einen Wirkungszeitraumraum bis 2030. Wird das Nettorentenniveau (vor Steuern) in diesem Zeitraum die berühmten 43% unterschreiten, ist der Gesetzgeber gehalten, korrigierend tätig zu werden. Ganz offensichtlich gehen die PROGNOS-Leute davon aus, dass die gesetzlichen Dämpfungsfaktoren fröhlich bis zum Jahr 2040 weiter wirken. Ein zarter Hinweis, dass zur Erfüllung ihrer Prognosen ein paar Gesetze geändert/verlängert werden müssten, wäre doch ein wenig hilfreich zum Verständnis gewesen.

Es gibt viele weitere fragwürdige Kaffeesatzlesereien, z.B. zu den typisierten Berufen – wird es sie so oder überhaupt noch in 2040 geben? Wird regionale Entwicklungspolitik auf Eis gelegt um den jetzigen Zustand einzufrieren? Über weitere Unsicherheiten hat sich wohl die Handelsblatt-Leitung Gedanken gemacht und dazu einen „Disclaimer“ in die Welt gesetzt:

Die Studie aus dem April 2014 endet mit einer Erklärung des „Handelsblatt Research Instituts“, die sich wie eine Distanzierung liest:

„Soweit in vorstehenden Angaben Prognosen oder Erwartungen geäußert oder sonstige zukunftsbezogene Aussagen gemacht werden, können diese Angaben mit bekannten und unbekannten Risiken und Ungewissheiten verbunden sein. Es kann daher zu erheblichen Abweichungen der tatsächlichen Ergebnisse oder Entwicklungen von den geäußerten Erwartungen kommen. Neben weiteren hier nicht aufgeführten Gründen können sich insbesondere Abweichungen aus der Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, der Entwicklung der Finanzmärkte und Wechselkurse sowie durch Gesetzesänderungen ergeben.“

Solcherlei Erklärungen fehlen bei der neuen PROGNOS-Studie gänzlich. Das die Zeitungen die Ergebnisse der Studie als richtig und „wahr“ unterstellen, ist überaus erstaunlich.

Vielleicht wird ja der „Handelsblatt-Disclaimer“ in der einen oder anderen Redaktion zum Anlass genommen, die eigene Berichterstattung noch einmal zu überprüfen?

Eine letzte Anmerkung:

Es gibt in den Zeitungen zwar Hinweise, dass die Studie von der Versicherungswirtschaft bezahlt wurde und das Prognosen über lange Zeiträume problematisch sind. Aber davon abgesehen werden in allen Artikeln die Darstellungen und Positionen unkritisch übernommen.

Damit kann wohl die Behauptung aufgestellt werden: Dem GDV ist ein Public-Relation-Coup mit extrem hohen Wirkungsgrad gelungen.

Eine entsprechend aufwendig durchgeführte bundesweite Anzeigenkampagne wäre deutlich teurer und natürlich sehr viel unglaubwürdiger ausgefallen.

* Zeitungen die mit ausführlicheren Artikeln berichteten (teilweise die online-Ausgaben, eine sehr unvollständige Liste, die aber zeigt, dass die PR jeden Winkel der Republik erreichte):

Kieler Nachrichten

Die Welt

Bild

Stuttgarter Nachrichten

Berliner Zeitung

Märkische Allgemeine

Wirtschaftswoche

Süddeutsche Zeitung

Tagesspiegel

Rheinische Post

Oberbayrisches Volksblatt

T-Online

(Reiner Heyse, 16.11.2015)


e-mail von Antje vom 16.11.15:

Danke für diesen sehr guten und treffenden Artikel.

Die Versicherungswirtschaft ist sich sicher, dass sie wie gehabt, die Blaupausen für weitere Gesetze zur Zerstörung der gesetzl.Rente liefern wird. 

Die Medienlandschaft verbreitet diese Werbeartikel für die Versicherungsindustrie ohne zu hinterfragen, obwohl sich einige Fragen geradezu aufdrängen. 

Wieso finden demografische Veränderungen nur bei gesetzl. Sozialversicherten statt?

Woher sollen die Gelder für eine zusätzliche private Rentenversicherung kommen und damit auch die anfallenden Auszahlungen?

Der Eckrentner ansich, war immer nur eine Fiktion, den hat es noch nie gegeben. 

Und vor allem, die geradezu weltweit kriminell agierenden Finanzmärkte sollen unsere Renten sichern, im Ausland???

Die immer wieder propagierte zusätzliche private Altersvorsorge entspricht einer Rentenbeitragserhöhung für die Arbeitnehmer außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, zu Gunsten der Versicherungslobby, mit enormen Risiken. Die Misserfolge der privaten Altersvorsorge kann man sowohl aus der Vergangenheit als auch in der Gegenwart begutachten. In Krisen- und Ausnahmezeiten gehen sie ersatzlos verloren. Das war so nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, bei Inflation, bei Weltwirtschaftskrisen und der immer noch laufenden Finanzmarktkrise. 

Zu Herrn Rürup, eine Seite, die schon vor einigen Jahren beispielhaft den ganzen Riester-Rüruprenten-Betrug auseinandergenommen hat: 

http://www.gerechterente.net/de/symposium/anmerkungen-zu-professor-ruerup/

Und bei der Kurve gehört ebenso auch die Beamtenbesoldung-Ruhegehalt dazu und ebenso die Entwicklung der anders berufständisch Versicherten. 

Aber auf Beamtenprivilegien darf nicht aufmerksam gemacht werden, sofort wird mit dem Totschlagargument  Neid unterstellt, als wenn das Aufmerksammachen auf die gravierend ungerechter werdenden Unterschiede zwischen Rente und Pension etwas mit Neid zu tun hat. Denn über die Rente bestimmen nur Personen, die nicht betroffen sind. Solange die Beamtenpensionen stärker als die Rente steigen und bis zu 71,5% des letzten Gehalts betragen, während die Rente auf 43% des durchschnittlichen Gehaltsniveaus abgeschmolzen wird (jeweils nach 45 Dienst-/Arbeitsjahren), solange ist es völlig unangemessen, ausgerechnet die Rentner als Profiteure zu bezeichnen.

Für das mögliche Mehr an Rente gibt es einen durchaus brauchbaren Vergleich. Die berufsständischen Versorgungswerke haben 1957 auf der gleichen Basis angefangen (vergleichbare Beiträge, vergleichbare Leistungen) wie die gRV. Allerdings ohne versicherungsfremde Leistungen. Bei vergleichbarer Lebensleistung und damit vergleichbaren Beiträgen bekommt ein Rentner aus der berufsständischen Versorgung aber 60 bis 80 Prozent höhere Bezüge als der Rentner aus der gRV.

—-

e-mail von Rolf Möller vom 18.11.15:

Guten Tag 

  Die Aktivitäten sind OK oder besser als 0,0 Aktion.

Der Auftritt muss “stärker” sein bei der grossen Anzahl von Rentner die  in den letzten 8 Jahren von der Regierung unglaublich behandelt werden.  Der Vorgang schleichende Kürzung und einfrieren der Renten ist unglaublich.

Die Rentner sind Kopfzahl mässig eine grosse Politische Macht…  jede Regierung müsste zittern und was passiert ?   Jede kleine Splittergruppe erreicht mehr….

Ankurbeln, Aufruf zum Sammeln und Gründung einer Partei oder  nur Entschlossenheit zeigen ein Zugpferd mit Mitteln ausstatten  Spenden einsammeln …. Kampf und nicht harmlose Schreiben aufsetzen.

 Unterschriften sammeln und der unverschämten Regierung die den  Rentnern jede gerechte Altersversorgung vorenthält.

  Anpassung der Renten an die Pensionen ,Anpassung der Lebensarbeitszeiten  Rentner und Pensionäre , Abzüge bei Pensionen wie bei den Renten =3,6 % pro Jahr bei Vorruhestand.  Beamte  auf sinnvolle Berufszweige reduzieren : Lehrer, Verwaltungsangestellte Post und Bahn müssen nicht Beamtenstatus haben.

 Zwangseinzahlungen in die Sozialkassen in gleicher Höhe wie “Normalos” Pensionen :Kürzen und einfrieren der Erhöhungen ab  sofort bis auf GLEICHSTAND REnten und Pensionen  Einfach Gerechtigkeit !!

Keiner wird gewählt der nicht eine Zusage macht den Missstand zu ändern.

 Erhöhung der Renten 2016 um 10 % bei gleichzeitigem Einfrieren der Bezüge und Pensionen auf Steigerung 0,0   . Ab 2017  und Folgejahre Steigerung der Renten um  5% , Pensionen über 1.600€ monatlich Zuwachs 0,0 % bis eine Annäherung erfolgt ist.

Generell ausser Polizei und Justiz keine Beamten Neueinstellungen mehr. Für Beamte Stufenweise Übergang Zahlungen in die Sozialkassen beginnend mit 50% der Sozialbeiträge ,Arbeitslosenversicherung  100% da dies als Solidarbeitrag gewertet wird.  Anpassung der Kürzungen bei Vorruhestand (Beamte nach 30 Jahren Dienstzeit in Pension gehen zu lassen mit geringen Abzügen nein so nicht … Gerechtikeit.

Gruss Rolf Möller

——

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  10. Ich bin jetzt gerade Altersrentner geworden. Ich finde es im höchsten Maße unverschämt, dass unsere s.g. Regierung sich an unseren Renten vergreift. Das beziehe ich auf deren Höhe und auf die s.g. versicherungsfremden Leistungen, die ja vom Staat nicht vollständig gegenfinanziert werden. Warum zahlen eigentlich nur die gesetzlich Versicherten? Wir brauchen endlich eine Kraft, die dieser Entwicklung entgegen wirken kann. 20.000.000 Rentner sind so eine Kraft.

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