Grundrente – Ein Trippelschritt in die richtige Richtung?

Grundrente – Ein Trippelschritt in die richtige Richtung?

Das Heil´sche Versprechen mit seiner Grundrente würde eine „Anerkennung der Lebensleistung und ein wirksamer Schutz vor Altersarmut erreicht“, findet große Zustimmung in der Bevölkerung. Bei genauerer Betrachtung stellen sich erhebliche Zweifel ein.

Vorweg: Das
große Plus des Grundrentenkonzepts von Hubertus Heil ist, dass die Grundrente
ohne Bedürftigkeitsprüfung erfolgen soll. Die zweifelhaften Elemente liegen in
der zu geringen Höhe, in den Voraussetzungen zur Grundrente und in der
unübersichtlichen Komplexität.

Die Voraussetzungen zur Grundrente: Schwere
Hürden und Ungerechtigkeiten

Das geht mit den Nicht-Anspruchsberechtigten los. Wer weniger als 35 Jahre Grundrentenzeiten nachweisen kann und weniger als 0,2 Entgeltpunkte, oder mehr als 0,8 Entgeltpunkte im Durchschnitt aller berücksichtigten Beitragszeiten erreicht hat, der bekommt keine Grundrente. Die folgende Grafik zeigt, was das konkret heißt:

Demnach haben 60% der Rentnerinnen in den alten Bundesländern keinen Anspruch auf Grundrente, weil sie weniger als 35 Jahre Rentenzeiten nachweisen können. Betrachtet man alle Rentnerinnen und Rentner in Deutschland sind es 33% ohne einen gesetzlichen Anspruch.

Anspruchsberechtigt sind nach den Zahlen der Deutschen Rentenversicherung mit Stand 31.12.2017:

Auch hier ist
die Verteilung nach Geschlechtern und Regionen äußerst unterschiedlich.
Deutlich wird an beiden Grafiken: In Deutschland ist der Anteil an Rentnerinnen
und Rentner, deren Rente so niedrig ist, dass sie unter Grundrentenniveau liegt,
bei 55%.

Bei den
Rentnerinnen in den alten Bundesländern liegt die Quote bei 83%, bei den
Rentnerinnen in den neuen Bundesländern bei 60%.

Die Höhe der Grundrente erfordert in vielen
Fällen zusätzliche Grundsicherung.

Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlichte Rechenbeispiel für die Berechnung der Grundrente sei hier vereinfacht wiederholt (Beispielrechnungen der Einfachheit halber alle mit aktuellem Rentenwert West):

  • Beispiel 1 – BMAS: Eine Frau arbeitet 40 Jahre lang und erzielt in diesen Jahren eine durchschnittliche Rentenanwartschaft von 0,4 Entgeltpunkten (EP) pro Jahr. Sie hat sich also 16 Entgeltpunkte (40 Jahre x 0,4 EP = 16) erarbeitet und erhält eine Rente von 512,48€ (16 EP mal dem aktuellen Rentenwert von 32,03€).

Nach
Heils Plänen soll sie in Zukunft einen Aufschlag bekommen, der die
durchschnittlichen Entgeltpunkte verdoppelt (aber nie mehr als 0,8 EP beträgt)
und für einen Zeitraum von 35 Jahren berechnet wird.

Der
Zuschlag beträgt in diesem konkreten
Fall: 35 Jahre x 0,4 EP x 32,03€ = 448,42€.

Die
Frau erhält also eine Gesamtrente
(Grundrente)
von 512,48€ + 448,42€ = 960,90€.

Von den 960,90€ werden allerdings
noch ca. 11% für Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen, so dass eine Nettorente von ca. 855€ überwiesen wird.

  • Beispiel 2: RentnerIn mit 42 Beitragsjahren und durchschnittlich 0,6 EP pro Jahr:

Die
normale Rente beträgt: 42 Jahre x
0,6 EP x 32,03€ = 807,16€.

Der
Zuschlag würde betragen: 35 Jahre x
0,2EP (0,6EP + 0,2 EP = 0,8 EP) x 32,03€ = 224,21
.

Die
Grundrente beträgt in diesem Fall:
807,16€ + 224,21€ = 1.031,37

Als Zahlbetrag (minus 11%) wird überwiesen: ca. 918€.

  • Beispiel 3: RentnerIn mit 35 Beitragsjahren und durchschnittlich 0,3 EP pro Jahr:

Die
normale Rente beträgt: 35 Jahre x
0,3 EP x 32,03€ = 336,32€.

Der
Zuschlag würde betragen: 35 Jahre x
0,3EP (0,3EP + 0,3 EP = 0,6 EP) x 32,03€ = 336,32
€.

Die
Grundrente beträgt in diesem Fall:
336,32€ + 336,32€ = 672,64€.

Als
Zahlbetrag (minus 11%) wird überwiesen:
ca. 599€.

In den ersten
beiden Fällen übersteigt die Grundrente den Wert für die Grundsicherung. Der beträgt
derzeit ca. 820€ (variiert regional). Im dritten Fall müsste weiterhin
zusätzlich Grundsicherung beantragt werden, mit all den unsäglichen
Ausforschungen der persönlichen Verhältnisse. Wie viele Menschen davon
betroffen sind, ist schwer abzuschätzen. Vermutlich bleiben es aber immer noch
einige hunderttausend Menschen.

Die Grundrente bleibt in der Armutszone –
sie bietet keinen Schutz vor Altersarmut.

Wenn wir von
Armut in unserer Gesellschaft reden, unterscheiden wir zwischen absoluter
Armutsschwelle und relativer Armutsschwelle. Die absolute Armutsschwelle,
unterhalb der Hunger und Obdachlosigkeit droht, soll durch Sozialhilfe/Hartz IV
und Grundsicherung abgefangen werden. Sie beträgt derzeit ca. 820€ (für
Einzelhaushalte).

Die relative Armutsschwelle ist seit 1984 in der Europäischen Union definiert. Sie beträgt als Armutsgefährdungsschwelle 60% des Medianeinkommens (netto) eines Landes. In Deutschland wurde diese Schwelle von destatis für 2016 mit 1.065€ berechnet (Einzelhaushalte). Diese Größe respektiert, dass der Mensch soziale und kreative Bedürfnisse hat.

Die
Grundrentenbeträge bleiben weit unter der Armutsgefährdungsschwelle und allzu
häufig auch unter der absoluten Armutsschwelle. Das behauptete Ziel, wird also
weit verfehlt.

Bewertung des von Hubertus Heil vorgelegten
Grundrentenkonzeptes.

Würde das
Konzept umgesetzt, hätte es mit dem Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung
einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Die
Grundrente selbst würde für viele Menschen die materielle Lage ein wenig
verbessern. Auch die vorgesehenen Freibeträge in der Grundsicherung (maximal
106€) und bei der Berechnung von Wohngeld (125€) können hier und da für
Linderung der Not sorgen.

Die Voraussetzungen, die Höhe und die komplizierten Bedingungen bei der Grundrente sind aber alles andere als positiv zu bewerten. Die angestrebte Grundrente bringt keinen Schutz vor Altersarmut. Sie ist auch nicht gerecht – sie wirkt eher spaltend. Allzu viele werden von der Grundrente ausgeschlossen. Geschlechtergerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen den Regionen? Fehlanzeige. Ein wenig Gerechtigkeit für Auserwählte führt eben nicht zur Gerechtigkeit für alle.

Die kompliziert erscheinenden Regeln (sie sind ja erst sehr rudimentär veröffentlicht) sind intransparent und für normal interessierte Bürger nur schwer zu durchschauen. Enttäuschungen und Ärger sind vorprogrammiert.

Fazit:

Vorprogrammiert
ist vor allem eines: die Heil´sche Grundrente wird nicht kommen. Sie wird so
wenig kommen wie die Lebensleistungsrente von Andrea Nahles in der letzten
Legislaturperiode, die in der Substanz sogar deutlich schlechter war. Der
Koalitionspartner wird weiter blockieren. Vor allem der Verzicht auf die
Bedürftigkeitsprüfung werden CDU/CSU in keinem Fall mittragen. Im
Koalitionsvertrag steht Bedürftigkeitsprüfung und damit basta!

Aber das weiß Hubertus Heil doch auch. Warum dann doch dieser Vorstoß? Soll das der Lackmus-Test für die Große Koalition werden? Die Sollbruchstelle, von Heil und der SPD gesetzt?

Das wäre zu
begrüßen. Zu befürchten ist aber, dass es sich eher um ein Scheinprojekt
handelt, mit dem Wählerstimmen eingefangen werden sollen.

Würden
Hubertus Heil und die SPD sich ehrlich machen, würden sie an politischen
Mehrheiten arbeiten mit denen die Agenda 2010-Politik „hinter sich gelassen“
werden kann. Dann könnte man auch bei der Rente die richtigen Reformschritte
angehen:

  • Armutsfeste Mindestrenten in einer Höhe über der Armutsgefährdungsschwelle (derzeit 1.100€).
  • Auskömmliche, lebensstandardsichernde Renten allein durch die gesetzliche Rentenversicherung.
  • Erwerbstätigenversicherung, in die alle Erwerbstätigen gleichermaßen rentenversichert werden.

(Reiner Heyse, 10.02.2019)

(*) Die Statistik löst nicht die Renten mit 0 bis 0,2 Entgeltpunkten auf. Die Ungenauigkeit in der Darstellung verschönert das Bild etwas. Erfasst sind die „Nichtvertragsrenten“ – also die reinen Inlandsrenten – von insgesamt 12.810.405 Rentnerinnen und Rentnern.