Altersarmut: Symptom einer verfehlten Rentenpolitik

Günter Eder, Autor des aufschlussreichen Buches “Die Rente im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Demografie”, hat uns den folgenden Artikel freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Bezüglich der Einschätzung zur Wirksamkeit der Grundrente sind wir weniger optimistisch – siehe unseren Beitrag Grundrente – Ein Trippelschritt in die richtige Richtung?

Günter Eder

Altersarmut:
Symptom einer verfehlten Rentenpolitik

Das
Rentenniveau ist in den letzten Jahrzehnten spürbar zurückgegangen und es wird
nach Auffassung der meisten Rentenexperten weiter zurückgehen. Mit dem Rückgang
des Rentenniveaus ist in Deutschland das Risiko der Altersarmut gestiegen. Um
diese Entwick­lung abzumildern, hat die Bundesregierung sich im
Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine Grundrente einzuführen. Diese soll
im Alter ein verlässliches Einkommen oberhalb der Grundsicherung (Hartz IV)
gewährleisten. Ob der vorgesehene Rentenerhöhungs­mechanismus allerdings Renten
oberhalb der Armutsschwelle garantiert, ist eher zweifelhaft. Uneins sind sich
die Koalitionäre zudem in der Frage, ob der Anspruch auf Grundrente mit einer
Bedürftigkeitsprüfung verbunden sein soll oder ob eine Mindestzahl an
Beitragsjahren als Voraussetzung ausreicht. Die entsprechende
Auseinandersetzung wird in der Politik intensiv geführt und gefährdete
zeitweise sogar den Fortbestand der Großen Koalition.

Auch unter
Rentenexperten wird die Bedürftigkeitsprüfung kontrovers diskutiert. Die einen
halten sie aus Gründen der Zielgenauigkeit der Mittelvergabe für wichtig, die
anderen sehen darin eine Hürde, die viele alte Menschen mit niedrigen Renten
davon abhalten würde, die Leistung in Anspruch zu nehmen. Die Tatsache, dass
das Thema der Altersarmut breiter diskutiert wird, ist uneingeschränkt zu
begrüßen, da auf diese Weise ein brisantes gesellschaftliches Thema in den
Fokus öffentlichen Interesses rückt. Und das Instrument der Grundrente böte die
Möglichkeit, vielen armutsgefährdeten Rentnern schnell und wirksam zu helfen.
Was dabei allerdings nicht aus dem Blickfeld geraten darf ist die Frage nach
den Ursachen der Altersarmut. Denn die Entwicklung ist ja nicht über Nacht vom
Himmel gefallen, sie ist Resultat konkreter politischer und rentenpolitischer
Maßnahmen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Unabhängige und fundierte
wissenschaftliche Untersuchungen, die Aufschluss geben würden über die Relevanz
einzelner rentenmindernder Effekte, stehen bis heute aus.

Oftmals wird
auf den demographischen Wandel als Erklärung für den Rückgang des Rentenniveaus
verwiesen, ohne diesen Zusammenhang angemessen zu belegen und ohne zu erklären,
warum ähnliche demographische Veränderungen zwischen 1950 und 2000 nicht mit
ähnlichen sozialen Verwerfungen verbunden waren. Viele sehen die Lösung des
Problems in der Verbesserung der Einnahmesituation der GRV, indem die
Versicherungspflicht auf Beamte und Selbständige ausgeweitet wird. Um die
Wirksamkeit der Maßnahme zu belegen, wird auf Österreich verwiesen, wo diese
Berufsgruppen in das gesetzliche Rentensystem eingebunden sind und wo deutlich
höhere Renten gezahlt werden. Ob aber allein die Ausweitung der
Pflichtmitgliedschaft ausreichen würde, die Rentenproblematik bei uns zu
beheben, ist zweifelhaft. Denn das österreichische Rentensystem unterscheidet
sich nicht nur in diesem Punkt von der Situation in Deutschland. Dort hat man
beispielsweise jeglichen Privatisierungsbestrebungen widerstanden und statt
dessen einen – verglichen mit Deutschland – deutlich höheren Beitragssatz
festgelegt. Hinzu kommt: Beamte und Selbständige bleiben nicht auf Dauer
Einzahler, auch sie werden irgendwann zu Rentenempfängern und erhalten Renten
adäquat zur Höhe der Einzahlungen, die sie geleistet haben. Möglicherweise
gewinnt man nur etwas Zeit, wenn nicht parallel dazu weitere Fehlentwicklungen
im Rentensystem korrigiert werden.

Das Wissen um
Strukturen und Zusammenhänge ist der Dreh und Angelpunkt, wenn es darum geht,
angemessene Maßnahmen zur Verbesserung der Rentensituation zu entwickeln. Nur
wenn man in der Lage ist, Folgewirkungen fundiert abzuschätzen und sie in einen
größeren Zusammenhang einzuordnen, ist man in der Lage, Fehlentwicklungen von
den Ursachen her zu korrigieren und nicht nur in Hinblick auf die Symptome.
Guter Wille allein reicht häufig nicht. Die Politik zeigt an derartigen
Untersuchungen und an einer offenen Ursachendiskussion wenig Interesse. Zu groß
und zu gefährlich erscheint ihr das rentenpolitische Minenfeld, das seit der
Kanzlerschaft Gerhard Schröders entstanden ist. Denn eine solche Diskussion
müsste nicht nur die zunehmende Privatisierung der gesetzlichen Rente und die
Ausweitung des Umfangs versicherungsfremder Leistungen kritisch hinterfragen,
sondern auch auf die Wirkungen eingehen, die von einem größer werdenden
Niedriglohnsektor und einer Zunahme gebrochener Erwerbsbiographien ausgehen.

Umso mehr Wert
sollten Betroffene auf eine fundierte Ursachenanalyse legen und eine offene Diskussion
fordern, mit dem Ziel, das gesetzliche Rentensystem substantiell zu stärken. Um
das zu erreichen, dürfen Beitragszahler und Rentenbezieher sich nicht
gegeneinander ausspielen lassen, sondern müssen solidarisch handeln. Denn im
Grunde genommen haben beide Gruppen das gleiche Interesse: auskömmliche Renten
im Alter. Und diese Renten sind realisierbar! Wenn man als Arbeitnehmer an eine
solche Zukunft allerdings nicht mehr glaubt, wird sich das wie eine
selbsterfüllende Prophezeiung auswirken. Denn einseitig die Beitragssätze
niedrig zu halten bzw. sie nicht adäquat zu erhöhen, mindert nicht nur die
Renten der heutigen Rentnergeneration, in noch stärkerem Maße zerstört es das
Fundament für die eigene spätere Rente.

Es ist ein
breiter gesellschaftlicher Konsens erforderlich, wenn das gesetzliche
Rentensystem wieder eine solide Grundlage erhalten soll. Das ist trotz des
demographischen Wandels möglich, wie eine vom Autor erarbeitete Studie zum
gesetzlichen Rentensystem zeigt. Letztlich hängt die Zukunft der gesetzlichen
Rente von der Unterstützung ab, die sie politisch und gesellschaftlich erfährt.
In der Hand von Politikern liegt es, ob zukünftige Rentner unter sonst gleichen
Bedingungen, das heißt bei gleichem wirtschaftlichen Wachstum, gleicher
demographischer Entwicklung, gleichem Renteneintrittsalter und gleichem
Rentenbeitragssatz, im Jahr 2050 mit einem Rentenniveau von 57 Prozent rechnen
können oder ob das Rentenniveau von zur Zeit 48 Prozent auf einen Wert von 38
Prozent herabsinkt.Wer an detaillierten Informationen über
Wirkungszusammenhänge im gesetzlichen Rentensystem interessiert ist, sei auf
die Buchveröffentlichung bzw. einen im Wirtschaftsdienst erschienenen Artikel
des Autors verwiesen.

Literatur

Günter Eder:
Die Rente im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Demographie.
Datenbasierte Überlegungen zur Zukunft der gesetzlichen Rente. ISBN
978-3-944101-47-7, Rhombos-Verlag, Berlin 2018

Günter Eder: Die Rentenpolitik bedarf einer Kurskorrektur. In: Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 99. Jahrgang, 2019, Heft 6, S. 425-431. ISSN: 0043-6275 (Print), Link auf den Artikel über https://rdcu.be/bHGKm

(Günter Eder, 11.07.2019)