Nun spekuliert man schön… oder besser: lasst spekulieren!

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Die Riester-Rente ist tot? Ach was! Man verpasst dem Ganzen einen anderen Namen, erhöht die riskanten Versprechungen, minimiert belastendes Soziales und startet neu durch. Das Verschweigen der schädlichen Folgen für die Wirtschaftsentwicklung des Landes gehört zum medialen Begleitung des Vorhabens.
Der Entwurf zum „Altersvorsorgereformgesetz“ ist ein Appell an das Zockerherz der abhängig Beschäftigten. Für Menschen ohne Zockerneigung gibt es Angebote, das Spekulieren von Profis durchführen zu lassen. Ob das Gesetz kommt und wenn es kommt, wie lange es Bestand hat, hängt wohl von den „Vorschlägen“ der von der Bundesregierung neu eingesetzten Rentenkommission ab. Denn der vorliegende Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Mangel: Er basiert auf Freiwilligkeit. Und die Freiwilligkeit des Riester-Sparens war ein zentraler Fehler, so die Einschätzung der Versicherungskonzerne, Walter Riesters und der immer präsenten „Experten“, wie Bert Rürup, Martin Werding, at all.
Was ist anders gegenüber „Riester“?
- Es ist noch unsozialer als „Riester“
Zunächst sollen die Regeln zur staatlichen Förderung geändert werden. Erstaunlich ist, dass die Bundesregierung hier zunächst keine Mehrausgaben erwartet. Die Fördergelder werden also nur anders verteilt.
Aktuell gibt es fürs Riester-Sparen pro Jahr eine Grundzulage von 175 Euro plus einer Kinderzulage von 300 Euro pro Kind. Minimaler Sparbetrag dabei 60 Euro und maximal 2.100 Euro. Bedingung dabei ist, der Betrag muss zusammen mit der Förderung 4% des jährlichen Bruttoeinkommens betragen. Ist er geringer, werden die Zulagen entsprechend gekürzt.
Geplant ist jetzt, dass die Sparbeiträge bis 1.200 Euro eine staatliche Zulage von 30 % (max. 360 Euro) erhalten und für Beiträge von 1.201 bis 1.800 Euro eine Zulage von 20 % (max. 120 Euro). Der maximale Förderbetrag wächst also von 175 Euro auf 480 Euro an.
Bei der Kinderzulage soll ähnliches gelten. Sparbeiträge bis 1.200 Euro erhalten eine Zulage von 25% pro Kind. Das wären maximal 300 Euro gegenüber dem unabhängig von der Beitragshöhe pauschalierten Betrag von 300 Euro.
Der Verschiebebahnhof der Förderung wird damit sehr deutlich. Geringverdiener, geringfügig Beschäftigte und Teilzeitkräfte werden sehr viel weniger Zulagen erhalten.
Hinzu kommt, dass die Versicherer keine Verträge mehr mit Erwerbsminderungsabsicherung, Hinterbliebenenversorgung und Eigenheiminvestitionen anbieten müssen.
Als große Errungenschaft wird gepriesen, dass es neben der Variante der lebenslangen Rentenzahlung auch die Option gibt, das Fondsvermögen bis zum 85. Lebensjahr monatlich höher auszuzahlen. Pech hat, wer dann länger lebt und unter Umständen gezwungen wird, im Pflegeheim vom Einzelzimmer in ein Zweibettzimmer umziehen zu müssen.
2. Es ist noch sehr viel riskanter als „Riester“
Risikoanlagen gab es schon mit Riesterverträgen. Fondssparpläne ermöglichten Finanzanlagen in Risikokapital. Wenn Anlagespekulationen platzten, wurden Rentenwerte drastisch gekürzt und damit die Auszahlungszeiträume deutlich verlängert. Letztes Beispiel dafür die ALLIANZ, die letztes Jahr kurzerhand den Rentenwert für Fonds-Verträge von 38,74 Euro auf 30,84 Euro, also um gut 20 % kürzte. (*)
Mit dem Altersvorsorgereformgesetz soll die Spekulation zum Normalfall werden. Dazu werden drei Varianten geschaffen.
Das Altersvorsorgedepot: „Ein Hauptanliegen der Reform ist es, die Renditemöglichkeiten des Kapitalmarktes künftig stärker zu nutzen. Die Ermöglichung der realwertorientierten Anlagestrategien mit höheren Renditen ist deshalb ein zentrales Element der Reform.“ (Aus der Gesetzesbegründung)
Mit „realwertorientierter Anlagestrategie“ ist gemeint, dass unterbewertete Aktien gekauft werden in der Erwartung, die wahren, realen Werte würden sich schon irgendwie am Markt einstellen. Dem Normalbürger bleibt da nur die Spekulation mit Zuhilfenahme der Glaskugel. Irrt die Glaskugel, schrumpft das Depot, oder es ist ganz futsch. Irgendwelche Garantien oder Haltelinien sind nicht vorgesehen. Da nicht zu erwarten ist, dass in Deutschland aus den ja vielfach beklagten „Aktien-Muffeln“ millionenfache Börsen-Junkies werden, hat der Gesetzgeber ein zweites Vorsorgeprodukt in petto.
Das Standardprodukt: „Dabei handelt es sich um ein besonders einfaches Altersvorsorgedepot, das einen einfachen Sparplan mit reduzierten Wahlmöglichkeiten … darstellt“. (Aus der Gesetzesbegründung)
Dabei wird die Entscheidung, mit welchen Papieren das Depot gefüllt wird, Finanzkonzernen überlassen. Garantien gibt es auch hier keine. Die einzige Restriktion für die Fondsverwalter ist die Begrenzung der von ihnen geltend gemachten Kosten auf 1,5 %. Das klingt nach wenig, ist aber tatsächlich happig. Unterstellt man eine durchschnittliche Inflation von 2 % (wie von der EZB angestrebt), müsste die Nominalverzinsung höher als 3,5 % sein, um einen realen Zuwachs des Depots zu erreichen. Für diejenigen, denen das Vertrauen in die Finanzmärkte, oder in BlackRock, ALLIANZ und Co. fehlt und sich zieren ihren mühsam erarbeiteten Lohn verzocken zu lassen, soll es Verlässlicheres geben.
Das Garantieprodukt: Und zwar in zwei Varianten. Die erste mit der Garantie, dass zu Beginn der Auszahlungsphase 100% der angesparten Beträge zur Verfügung stehen – also unter Berücksichtigung der Entwertungen durch die Inflation mit enormen Verlusten. Die zweite Variante beinhaltet dagegen eine „Kapitalgarantie“ von lediglich 80% – verspricht dafür die windigen „Renditevorteile aus realwertorientierten Kapitalanlagen“.
Reichhaltige negative Spekulationserfahrungen …
Zur Illustrierung, wie verantwortungslos es ist die Altersversorgung den Risiken der Finanzmärkte auszusetzen, hier einige Meldungen der letzten Monate:
- Das Versorgungswerk der Berliner Zahnärztekammer (VZB) verlor bis zu 1,4 Milliarden Euro, etwa die Hälfte ihres gesamten Anlagekapitals, durch Spekulationen vor allem mit Immobilienprojekten. (Institutional Money.com, 17.12.25).
- Die Bayrische Versorgungskammer (BVK – 3 Millionen Versicherte) verzockte auf dem US-Immobilienmarkt 700 Millionen Euro. (Merkur 16.12.25)
- Das Versorgungswerk der Ärztekammer Schleswig-Holsteins (VAESH) verlor in 2022 bis 2024 satte 64 Millionen Euro. (SHZ 12.12.25)
- Das Versorgungswerk der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holsteins (KVSH) muss in 2025 Abschreibungen von 36 Millionen Euro. (Kieler Nachrichten 26.9.25)
- Bereits im März vermeldete die Regionalpresse Verluste bei den Versorgungswerken der Apotheker und der Zahnärzte von jeweils über 50 Millionen Euro. (Kieler Nachrichten 7.3.25)-
- Der bereits, wie oben erwähnt, in Sachen Riester-Fondsverträgen aufgefallene und vom BGH zurückgepfiffene ALLIANZ Konzern, musste 2023 kräftige Strafgelder für Spekulationsverluste zahlen. Die ALLIANZ Global Investors hatte sich in den USA mit Pensionsfondsgeldern unter anderem der Lehrer in Arkansas und der Transportarbeiter New Yorks verzockt. Die Klage der Gewerkschaften endete mit einem Vergleich: Die ALLIANZ muss 5 Milliarden Dollar als Schadensersatz zahlen plus 860 Millionen Dollar an die US-Staatskasse. (Handelsblatt 15.7.23)
- Der schwedische Pensionsfonds Alecta verwaltet große Anteile der hierzulande als vorbildlich gepriesenen gesetzlichen Prämienrente. Die Alecta hatte in die Pleite gegangene Silicon Valley Bank und in zwei weitere kriselnde Banken investiert. Wertverlust für den Pensionsfonds 1,7 Milliarden Euro. (Private Banking Magazin, 22.3. und 12.4.23)
Diese Liste ließe sich beliebig erweitern und würde mit den Erfahrungen der dotcom- (2000) und der Immobilienblase (2008) zu einem dicken Buch anwachsen.
Wenn alle sparen, wer übernimmt dann die Schuldner-Rolle?
Die Fondsverwalter, also Versicherungen und sogenannte Vermögensverwalter, würden zu Schuldnern der ganz besonderen Art werden. Sie bekommen mit den Altersvorsorgedepots im wahrsten Sinne des Wortes ein bombensicheres Geschäftsmodell geschenkt. Das ihnen anvertraute Geld bringt ihnen jährlich steigende Profite. Verspekulieren sie sich, oder kollabieren die Aktien- bzw. Finanzmärkte, werden sie schadlos bleiben. Sie mussten keinerlei Garantien auf Rückzahlungen abgegeben. Das alles, wird behauptet, ist im Sinne und zum Wohle der „Jungen“. Bestandteil einer überfälligen Rentenreform, die „Generationengerechtigkeit“ herstellt.
Mit dem „Altersvorsorgereformgesetz“ soll das zur absurden Realität werden. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass es möglich wäre, von einer Bank einen Kredit zu erhalten, mit der vagen Zusage, die Schuld in vielen Jahren mehr oder weniger hoch – je nach Kassenlage -zu tilgen?
Für wie dumm können die Mächtigen in diesem Land die Betroffenen noch halten? Es sind vor allem die Mainstream-Medien, die das Geschäft der Verdummung betreiben. Umfragen zeigen jedoch deutlich (siehe hier und hier), dass große Mehrheiten sich von der Propaganda nicht kirre machen lassen. Für einen wirksamen Widerstand fehlt es aber immer noch an Zusammenschlüssen und an Organisationen, die ihre Rolle dabei wahrnehmen.
Ökonomie für Dummies
Die Vertreter der radikalen Kontrareform – Schwächung der umlagefinanzierten und dafür Ausbau der kapitalmarktabhängigen Renten – streben im ersten Schritt eine Abgabe von 4 % der Bruttoeinkommen zwecks Kapitalanlage an. Das ergäbe dann pro Jahr ein Sparvolumen von etwa 70 Milliarden Euro. Geld, dass dem Konsum entzogen würde und damit die Nachfragseite im Wirtschaftskreislauf nachhaltig weiter schwächt. Das stört die angeblich Sachverständigen der Bundesregierung (die vier Wirtschaftsweisen, den fünften, Achim Truger, kann man da ausnehmen) nicht weiter. Die mittlerweile seit sechs Jahren anhaltende Stagnation der Wirtschaftsentwicklung wollen sie mit Senkung der Sozialhaushalte, und damit weiteren Nachfrageausfällen, begegnen.
Die Schlagzeilen im Handelsblatt vom 12. November hätten als eiskalte Dusche zu der öffentlichen Propaganda für Altersvorsorgefonds wirken müssen:
„Konjunkturblockade – Europa spart zu viel“ und „Sparer bremsen Wachstum“.
Angesichts der vom Statistikamt Eurostat berechneten Rekord-Sparquote von 15,45 % (Deutschland nimmt mit über 19 % die Spitzenposition ein) im Euro-Raum, wird festgestellt:
„Europäische Haushalte sparen zu viel und konsumieren zu wenig, trotz wieder gestiegener Reallöhne und sinkenden Zinsen – ein Umstand, der Experten und Ökonomen umtreibt.“
Wirklich? In Deutschland treibt da nichts und niemanden um. Jedenfalls nicht in der Presse, öffentlichen Talk Shows oder im Parlament.
Schon im Handelsblatt des gleichen Tages wird vom Chefreporter für Geldanlage und Märkte der Zeitung, Markus Hinterberger, unter der Überschrift
„Auf die Meisterschaft im Sparen sollten wir nicht stolz sein“, geschrieben:
„Beginnt nun jede oder jeder Einzelne in diesem Land, nur einen Teil seines Geldes am Aktienmarkt zu investieren, hat dies zunächst zwei positive Effekte: Der Wert unserer Ersparnisse bleibt erhalten, und wir schaffen es, uns die Rente anzusparen, die uns der Staat nicht mehr bieten kann. Aber nicht nur deswegen ist es an der Zeit, von Sparern zu Anlegern zu werden. Aktionäre stellen Unternehmen das notwendige Kapital zur Verfügung, um ihrerseits zu investieren.“
Das als Quintessenz zu dem Artikel über die eklatante Konsumschwäche zu kommentieren, hat schon etwas von einer Wahrnehmungsstörung. „Sparen“ und „Anlegen“ führen nun mal gleichermaßen zum Nachfrageausfall. Und Aktionäre stellen Unternehmen nur einmal Kapital zur Verfügung, nämlich beim ersten Börsengang. Die wundersamen Kursrallys bringen den Unternehmen im weiteren Verlauf kein neues Kapital. Wäre das so, hätten die Kurssteigerungen z.B. der DAX-Aktien von 80 % in den letzten sechs Jahren zu enormer Investitionstätigkeit geführt. Dagegen ist nach OECD-Daten die Investitionsquote in dem Zeitraum aber um fast 10 % gesunken.
Hätte der Handelsblattautor seinen Kommentar als Schüler im Fach WiPo als Besinnungsaufsatz zum „Konjunkturblockade“-Artikel abgeliefert, hätte er eine Benotung „ungenügend – Thema verfehlt“ verdient. Die Bewertung haben mit ihm mindestens 90 % der in den Medien präsenten Ökonomen verdient.
Die richtige Lehre aus der beklagten Konjunkturblockade durch übermäßiges Sparen ist bezüglich der Altenversorgung: Den Wirtschaftskreislauf anzuregen durch Stärkung des Umlageverfahrens – das stärkt die Nachfrage, belebt den Wirtschaftskreislauf, führt zu höheren Investitionen, mehr Arbeit, mehr Einkommen. Oder kurz: zur Prosperität der Wirtschaft und des Wohlstands.
Die weitere Lehre: der Aufbau von Kapitalfonds für eine weit in der Zukunft liegende private Altersversorgung darf nicht aus Steuergeldern gefördert werden. Eine solche Förderung wäre eine unmittelbare Subvention für die Finanzkonzerne mit ungewissem Ausgang für die Sparer. Mit einem Sozialstaat hätte das nichts, aber auch gar nichts zu tun.
(Reiner Heyse, 19.12.2025)
(*) Urteil des BGH vom 10.12.25: Die von der ALLIANZ vorgenommene Kürzung des Rentenfaktors (von 38,74 Euro auf 30,84 Euro je 10.000 Euro Policenwert) ist unwirksam. Als Begründung hatte die ALLIANZ unter anderem die anhaltende Niedrigzinsphase angeführt. Die Richter beanstandeten dabei nicht die Kürzung an sich. Sie monierten lediglich, dass in den Verträgen zu den Riester-Fonds eine Klausel fehle, nach denen die Versicherung sich spiegelbildlich verpflichte, den Rentenwert wieder heraufzusetzen, wenn die Gründe zur Kürzung entfielen. Der Bund der Versicherten geht davon aus, dass rund eine Million Verträge von verschiedenen Versicherern betroffen sein könnten.