An alle Sozialreformer: Appell und Einladung des „Seniorenaufstand“(*)
Die nächste Rentenreform muss einen gründlichen Richtungswechsel bringen.
(Ergebnisse eines „Seniorenaufstand“-Workshops am 28.11.2019 in Hamburg – hier: diese Seite als pdf))
Anfang der 2000er Jahre wurde der gründliche Umbruch (Paradigmenwechsel) bei der Rentenversicherung vollzogen. Seitdem ist nicht mehr die Erhaltung des Lebensstandards im Alter, sondern die Kosten-Deckelung das erklärte gesetzliche Ziel. Wer seinen Lebensstandard im Alter erhalten, oder Altersarmut verhindern wolle, solle privat vorsorgen.
Die Folgen dieses Paradigmenwechsels sind katastrophal:
- Eine drastische Absenkung des Versorgungsniveaus, das auf eine Nettoersatzquote von 50% sinken wird.
- Eine enorm ansteigende Altersarmut, die in wenigen Jahrzehnten mehr als die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner treffen wird.
Diese Politik trifft seit Jahren und aktuell die gegenwärtigen Rentnerinnen und Rentner. Sie wird aber in einem heute noch ungeahnten Maße die jetzt noch Jungen treffen. Unsere Gesellschaft wird sich zerlegen, wenn in Sachen Rentenpolitik nichts geändert wird.
Die notwendigen Änderungen müssen wiederum in einem sehr gründlichen Umbruch, einem erneuten Paradigmenwechsel, bestehen. Kleine oder begrenzte Gesetzesänderungen werden nicht ausreichen.
Eine „Rentenreform von unten“ muss gegen mächtige Interessen durchgesetzt werden. Unternehmerverbände und die Finanzwirtschaft setzen enorme Mittel ein, um Politiker und Medien zu beeinflussen.
Eine „Rentenreform von unten“ ist nur möglich, wenn sich die Sozialreformer in diesem Land endlich mit einer Stimme und mit klaren Zielen zusammentun. Diese Ziele müssen einfach formuliert und gut nachvollziehbar sein. Nur so können die über 90% Betroffenen in der Bevölkerung zum gemeinsamen Handeln überzeugt und ermutigt werden.
Initiative für ein grundlegendes Umsteuern in der Rentenpolitik:
Wir laden also alle Sozialreformer (in Gewerkschaften, Sozialverbänden, Parteien, Vereinen und als Einzelpersonen) ein, sich an der Debatte und Festlegung eines Rentenreformkonzepts zu beteiligen. Ist die Bereitschaft dazu erkennbar, werden wir gemeinsam Formen des Austauschs und gegebenenfalls der Beschlussfassungen verabreden.
Im Folgenden die sechs zentralen Reformziele, die wir im „Seniorenaufstand“ erarbeitet haben. Die Ziele sind benannt und der wesentliche Inhalt kurz umrissen. Ausführlichere Erläuterungen und Hintergründe sind in Anhängen dargestellt.
(Uns ist bewusst, dass es zahlreiche berechtigte Gründe sowie Organisationen gibt, sich gegen einzelne unsoziale und ungerechte Gesetze zu engagieren. Gelingt uns der Paradigmenwechsel, werden auch diese notwendigen Änderungen leichter erreichbar sein.)
Grundsätzliche Ziele zur Rentenreform müssten sein:
1. Es werden auskömmliche, das heißt lebensstandardsichernde, Renten garantiert.
Eine solche Rente wird erreicht, indem pro Erwerbstätigenjahr 1,5% des erzielten Arbeitseinkommens als Rentenanwartschaft berechnet wird. Bei Zugrundelegung der Standardrente (45 Jahre Beitrag aus Durchschnittseinkommen), ergibt sich nach 45 Jahren ein Bruttorentenniveau von 67,5%. Das führt zu einem Nettorentenniveau von ca. 80% (Nettoersatzquote). -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
2. Diese Renten werden ausschließlich aus der paritätisch umlagefinanzierten Versicherung plus staatlichen Ergänzungsleistungen finanziert.
Der Rentenversicherungsbeitrag wird auf 23% (11,5% AG; 11,5% AN) festgesetzt. Er wird ausschließlich für die versicherungsdefinierten Leistungen verwendet. Reichen die Beitragsleistungen nicht aus, um die garantierten Rentenzahlungen zu erfüllen, werden zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt geleistet. -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
3. Es werden wirksame Regelungen zur Vermeidung von Altersarmut getroffen.
Armutsfeste Renten liegen stets über der Armutsgefährdungsschwelle. Entsprechende Mindestrenten werden nach 15 Jahren Beitragsleistung gewährt.
Die Mindestrente würde aktuell (2019) für Einzelhaushalte eine Höhe von 1.100€ netto aufweisen. Die regional sehr unterschiedlichen Wohnkosten werden durch erweiterte Wohngeldzuschüsse ausgeglichen.
Die Mindestrenten setzen sich aus der Altersrente bzw. Erwerbsminderungsrente plus einem steuerlich finanzierten Aufstockungsbetrag zusammen. -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
4. Es werden ALLE Erwerbstätige nach den gleichen Regeln mit Versicherungsbeiträgen belastet und mit auskömmlichen Renten versorgt.
Das gemeinsame, lebensstandardsichernde Rentenniveau für alle wäre mit 67,5% brutto garantiert. Es wird eine Besitzstandsgarantie für bereits erworbene Ansprüche aus anderen Versorgungswerken gewährt.
Die Beitragsbemessungsgrenze wird aufgehoben. Es erfolgt ab einem bestimmten Rentenbetrag eine degressive Erhöhung. -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
5. Es gilt auch bei der Rente der Grundsatz, dass stärkere Schultern mehr tragen als Schwache.
Das wird z.B. erreicht durch die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und eine lediglich degressive Erhöhung der Rentenleistungen bei einer Rente, die über dem 2,5fachen der Eckrente liegt. Steuermittel, die für Aufstockungs- bzw. Ausgleichsleistungen benötigt werden, sollen durch Vermögens- und Erbschaftssteuern, sowie erhöhte Kapital- und Einkommenssteuertarife generiert werden. -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
6. Der Sozialstaat garantiert die Erfüllung der Ziele.
Das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 GG erfordert die Versorgungssicherheit der älteren Menschen. Zur Würde des Menschen (Art.1) gehört auch die ausreichende materielle Versorgung. Erstrebenswert ist eine Ergänzung der Verfassung, in der, ebenso wie für Kinder und Jugendliche, die besonderen Aufgaben des Staates für ältere Menschen festgelegt werden. -> siehe Erläuterungspapier (hier: als pdf)
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Wir bitten um Stellungnahmen, bzw. Meinungsäußerungen an kontakt@seniorenaufstand.de . Über den weiteren Verlauf der Debatte werden wir auf www.seniorenaufstand.de berichten.
* Der „Seniorenaufstand“ ist ein offener Arbeitskreis von gewerkschaftlichen Seniorinnen und Senioren im norddeutschen Raum. Aus Flensburg bis Goslar und aus Berlin bis Bremen/Oldenburg treffen wir – Mitglieder von ver.di, der IG Metall, der GEW, der IG BAU, der EVG und des DGB – uns in einem Koordinierungskreis in Hamburg und auf örtlicher Ebene.